Eine philosophische Einleitung
Wenn man den Werken von denise.X! alias Denise Rachbauer das erste Mal begegnet, ist es ein Wow-Erlebnis. Da steht man vor einem Objekt und weiß nicht, wo man anfangen soll. So viele Formen und Strukturen sind ineinander verwoben und vibrieren, erfüllt von einer inneren Spannung, die sich auf den Betrachter überträgt. Also schaut man auf den Titel und liest ihn. In diesem Augenblick beginnt man zu denken. Dann wendet man sich wieder dem Objekt zu. Und beginnt zu verstehen. Es ist eine Reise.
Am Anfang der Betrachtung ihrer Werke steht ein vordergründiger Gedanke. Vermittelt wird er durch den Titel in Kombination mit dem Objekt oder im Kontrast zum Objekt. Man greift ihn, kann ihn aber nicht begreifen. Man lässt sich sinken in das Werk und je tiefer man hineinsinkt, desto heller wird es.
Bis man die hintergründige Pointe erkennt. Sie ist die ganze Zeit irgendwo da drin versteckt und wartet. Sobald der Betrachter sie findet, kommt sie raus zum Spielen. Raffiniert, charmant, wenn man Glück hat, sogar frech. Sie lächelt und man lacht zurück, weil die Auflösung da ist.
Natürlich gibt es auch andere ihrer Werke, die eine andere Natur in sich bergen. Manche Objekte sind groß und schwer und scheinen trotz Wucht und Stärke zu schweben. Andere funkeln liebreich und zierlich zerbrechlich, dabei dominieren sie unsere Wahrnehmung und lassen nicht mehr los. Ihr Schmuck verbindet Eleganz mit Intelligenz und sorgt mit zuweilen filigraner Härte für Stoff im Gespräch. Ihre Kopfgeburten sind ein Zyklus von Ästhetik. Strahlend und funkelnd anzusehen, handwerklich perfekt inszeniert.
Doch auch hier zahlt es sich aus, nicht bloß die Augen schauen und das Herz fühlen zu lassen, sondern selbst den Kopf in Bewegung zu setzen, um neue Einsichten zu gewinnen.
Eins haben ihre Werke aber gemeinsam: Sie sind intellektuell fordernd und ästhetisch befriedigend. Weil sie uns als Betrachter auf die Reise schicken. Am Ziel angekommen, merken wir, dass es eine Reise zum eigenen Ich war. Wir selbst sind inmitten der Komplexität verborgen, dem großen Ganzen mit den unzähligen Details. Wir sind ein Teil der Pointe, die Auslöser der Auflösung.
So führt der Weg vom Objekt zum Subjekt. Und das macht die Kunst von denise.X! so wertvoll.
Natürlich ist das eine subjektive Betrachtung. Aber ist Subjektivität nicht objektiv?
Dr. Dalibor Truhlar, Philosoph und Autor
DENISE.X!
Tiffany-Glaskunst, eine besondere Technik der Glasverarbeitung, ist nach ihrem Erfinder, dem amerikanischen Jungendstilkünstler Louis Comfort Tiffany, benannt. Seine Technik, einzelne Glasteile durch Ummantelung mit Kupferfolie und Lötzinn zu verbinden, eignet sich hervorragend zur Gestaltung dreidimensionaler Gebilde und entwickelte sich zu einem heute gängigen Standard in Design und Dekor. Schmuckstücke, Glasmosaike und Lampen sind häufige Anwendungen von Tiffany-Glaskunst.
Neu ist der Ansatz, den die Künstlerin denise.X! in dieses Genre einbringt. Sie erweitert die traditionelle Glaskunstverarbeitung nach der Tiffanymethode durch die Integration von derelinquierten Dingen. Auf den ersten Blick zu Tiffany so unpassende Elemente wie rostendes Eisen, Schwemmholz, alte Fotos, Trödlertand, achtlos Weggeworfenes oder bewusst Zurückgelassenes erwecken die Aufmerksamkeit der Künstlerin. Die vom unerbittlichen Lauf der Zeit oftmals ihrer seinerzeitigen Bestimmung beraubten Fundstücke erfahren durch die Kombination mit Glaselementen eine völlig neue (Be)Deutung. Es bedarf einer ausgeprägten Imaginationskraft, um aus einem vorgefundenen Element, oft einem Partikel nur, auf das noch nicht visuelle, große Ganze zu schließen.
Ein korrodiertes Stück Blech mutiert zum luftigen Segel eines nur rudimentär angedeuteten Bootes aus Glaselementen, ein zufällig angeschwemmtes Stück Holz entpuppt sich als Kopf eines aus unzähligen Achatplättchen bestehenden Krokodilkörpers. Ein Spinnennetz aus Glas wird zum Hort zwischenmenschlicher Beziehungsgeflechte, das Schneideblatt einer Kreissäge frisst sich in ein Herz aus Glas und selbst die Zeit, die eine alte rostige Uhr mühsam anzeigt, scheint vom Diktat eines winzigen Glaselements immerdar auf einen fixen Zeitpunkt eingefroren, was die Platzierung in einem nach vorne nur scheinbar offenen Käfig noch unterstreicht.
Diese Symbiose aus angewandter Glaskunst und den ihrem ursprünglichen Zweck entrissenen Materialien erlaubt ungewöhnliche Interpretationen.
„Die Kunst“ so sagt denise.X!, „ist es ja nicht, es nur zu können. Die Kunst ist es, bewusster als andere zu sehen, wahrzunehmen, ganzheitlich zu denken, ja vorausahnen zu können“.
Die 1972 in Wels geborene Künstlerin befreit die Tiffany-Methode vom biederen Geruch der kunsthandwerklichen Dekoration und zerstört das bisweilen kitschig anmutende Image von Tiffany, indem sie derartige Glasanwendungen gleichsam mit Füßen zu Scherben zertritt. Ihr Ansatz ist ein durchaus radikaler: nicht das Design, die vordergründige Ästhetik steht im Focus. denise.X! forscht nach neuen Zugängen in einem Genre, das schon vollkommen ausgelotet und in sich geschlossen schien.
So brät sie Spiegeleier aus Glas in einer rostigen Pfanne, serviert rasiermesserscharfe Drinks in Lippen zerfetzenden Gläsern und installiert Musik CD`s zu einer Klangskulptur, bei denen ein Ohr aus Glas am Galgen des guten Geschmacks zu hängen scheint. Und selbst die freundliche Aufforderung, doch Platz zu nehmen, scheitert an Dutzenden Nägeln, die aus der Sitzfläche eines alten Sessels ragen, mit denen ein aus rostigen Eisenrohren und gläsernem Brustkorb geformtes Individuum gerade schmerzhafte Bekanntschaft gemacht hat.
An Glas kann man sich bekanntlich schneiden und nichts anderes als ein Eindringen ihrer Objekte in die Erlebniswelt der Betrachter beabsichtigt denise.X!, deren Künstlerpseudonym „X“ so wie das „X“ in der Mathematik für das Unbekannte, Unentdeckte, Ungeahnte steht und bei der das hinzugefügte Ausrufungszeichen „!“ mitteilt: „Ich sehe was, was Du erst sehen wirst“. Das Glas mutiert bei ihr zum Trägerelement einer Kunst der Kombination, deren Grenzen nicht sichtbar und deren Möglichkeiten gleichsam unendlich sind. Die Objekte von denise.X! transferieren die Tiffanytechnik aus den Schauräumen des behübschenden Interieurs in die Position einer eigenständigen, skulpturalen Kunstäußerung mit oft unerwarteten, überraschenden Botschaften.